Der nachfolgende Impulstext wurde von Ruedi Schmid (Optimus) verfasst:
Die christliche Ethik basiert auf dem edlen Grundsatz: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Weiter wird die Feindesliebe so stark forciert – wir sollen schliesslich auch die andere Wange hinhalten -, dass letztlich keine Feinde mehr existieren. Auch stellte Jesus bei den Zehn Geboten gemäss der Thora im ersten Gebot die bedingungslose Liebe zu den Menschen der Gottesliebe. Nächstenliebe hat also höchste Priorität. Vor allem aber war Jesus ein vortreffliches Vorbild, und seine Nächstenliebe versiegte nicht einmal gegenüber seinen Mördern.
Nähmen Christen Jesus als Vorbild, müssten sie ethische Fragen sehr hoch einstufen. Doch davon ist in der Alltagsrealität wenig zu erkennen. Die Wirklichkeit hinkt den Ansprüchen also weit hinterher.
Die goldene Regel „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ wird zwar oft kritisiert, aber wo kein Wille ist, den Sinn zu verstehen, ist auch kein Weg. Diese Regel ist so goldig, weil sie mit Hilfe der Liebe anregt, unsere Mitmenschen zu verstehen und sich in ihre Lage zu versetzen. Dadurch entsteht eine auf das Individuum abgestimmte Ethik. Auch motiviert dieses Gebot zum Handeln. So bringt Nächstenliebe viele Vorteile: Es entstehen Beziehungen und Freundschaften, die beglücken uns und begünstigen das Zusammenleben. Wenn dabei die Nächstenliebe bis zum Feind reicht, führt dies zum friedlichen Zusammenleben und fördert den Frieden. Nächstenliebe wäre der Schlüssel für ein glückliches und erfolgreiches Leben in der Gemeinschaft. Deshalb ist Nächstenliebe ein kluger Egoismus, bei dem es nur Gewinner gibt.
Nächstenliebe kann man nicht haben, man kann sie nur geben. Wenn man das tut, kommt sie zurück. Doch in einer materialistisch geprägten Welt hat die Nächstenliebe einen schweren Stand. Das Glücklichsein ist ein Gemütszustand, der selten mit materiellen Aspekten zu tun hat. Die Bindung an die Welt der Dinge führt oft zu Abneigung, Hass, Verachtung, Abscheu, Habgier oder Missgunst.
Was Nächstenliebe bewirkt, zeigte Nelson Mandela. Möglicherweise verdankt Jesus seinen Durchbruch zur Weltreligion seinem Gebot der Nächstenliebe. Wie auch immer: Sie ist der Kitt der Menschheit und ein zentraler Glücksfaktor.
Dabei spielt es keine grosse Rolle, ob sie auf die Botschaft Gottes zurück geht oder aus klugem Egoismus gepflegt wird.
Doch was ist aus der wunderbaren Botschaft zur Nächstenliebe von Jesus geworden?
Die Christen sind angehalten, Gott als einzige Wahrheit anzuerkennen, ihn zu lieben und durch Gebete und Rituale zu verehren. Dafür erwarten sie eine Belohnung. Das geht auch aus dem Hauptgebet, dem „Vaterunser“, hervor.
Es gibt zwar Freikirchen, bei denen Nächstenliebe zuoberst auf der Wunschliste Gottes steht. Der Bibelgelehrte Marc Arthur sagte aber dazu in einem Vortrag über die wahre Gotteskenntnis: „Ich glaube, dass sie den wahren Gott hassen. Sie verbergen den wahren Gott vor den Augen ihrer Anhänger, und an seiner Stelle machen sie einen Götzen nach ihrem eigenen Gutdünken.“
Aber was hat Gott davon, wenn wir seine Wahrheit kennen? Was nützt es ihm, wenn wir ihn loben, verehren und an ihn glauben? Um solche Schmeicheleinheiten überhaupt zu schätzen, ist ein Geltungsbedürfnis Gottes erforderlich, was nur denkbar ist, wenn Gott an seiner Allmacht zweifeln würde. Aber der Kirche dient dieses Prinzip dazu, Menschen gefügig zu machen, vor allem mit dem Konzept von Himmel und Hölle. Es scheint also, dass Gott die Nächstenliebe mit der Höllendrohung erzwingen will. Da wirkt es widersprüchlich oder täuschend, wenn in der Bibel steht: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“.
Es hätte in der Vergangenheit viel Unheil verhindert werden können, wenn es den Christen gelungen wäre, die Nächstenliebe umzusetzen. Die Vorbildwirkung hätte ausgestrahlt auf andere Gesellschaften und Kulturen. Doch dann hätten die Kirchenhierarchien ihre Macht abgeben müssen.