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Channel: Hugo Stamm
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Wenn der Staat Sektenmitglieder auffangen muss

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Problematische oder radikale Glaubensgemeinschaften oder neureligiöse Bewegungen empfinden sich als ideale Gemeinschaften, die auserwählt sind und für ihre Mitglieder einstehen. In der Realität sind aber Anhänger oft nur so lang willkommen, als sie sich nützlich machen. Sind sie nicht mehr finanzkräftig oder für die Mission einsetzbar, verlieren sie für die Gruppe rasch an Bedeutung oder Wert. Wer Unterstützung braucht, wird nicht selten gefallen gelassen. Dann muss der Staat die Opfer auffangen, die oft keine oder höchstens eine dürfte Altersvorsorge haben. Die Geschichte von Ronald Meier (Name geändert) zeigt das Phänomen drastisch auf.

«Ich war halt etwas weich.» Ronald Meier schaut leicht verlegen zu Boden. Seine weiche Seite wurde ihm zum Verhängnis. Die Zürcher Scientologen erkannten den Charakterzug des Metzgers instinktiv und liessen ihn systematisch ausbluten. Am Schluss war er um rund 800 000 Franken leichter und verarmt. Heute lebt er von Ergänzungsleistungen. Ronald Meier ist kein Einzelfall: Immer wieder beuten Sekten ihre Anhänger aus. Sind diese psychisch oder finanziell ruiniert, muss die Allgemeinheit die Zeche bezahlen.

Das umfangreiche Scientology-Dossier von Ronald Meier enthält die Geschichte eines Mannes, der nicht entschieden genug Nein sagen konnte. Er weigerte sich zwar anfänglich, immer neue Kurse und Materialien zu kaufen, knickte aber unter dem rhetorischen und moralischen Druck der Profi-Scientologen immer wieder ein. Bis sein Vermögen und seine Altersvorsorge aufgebraucht waren. Als nichts mehr zu holen war, liess man ihn gehen. Heute ist er 74 Jahre alt und lebt am Existenzminimum. Dabei hätten ihn die scientologischen Kurse befähigen sollen, das Leben besser zu meistern.

Bürgschaft für den Therapeuten

Die lange Geschichte begann 1988. Ronald Meier steckte in einer Sinnkrise. Ein Flugblatt lockte ihn ins Zürcher Zentrum. Nach einem intensiven Gespräch unterschrieb er sofort den ersten Kursvertrag. Dann ging es Schlag auf Schlag, er kaufte immer mehr Kurse und Auditings (eine Art Therapiesitzung). «Ich fand vieles eigenartig und blieb skeptisch, doch ich wagte nicht, mich zu wehren oder zu lösen», sagt Ronald Meier heute. Es sprach sich schnell herum, dass Meier ziemlich flüssig war. Neben Scientology zapften auch einzelne Sektenmitglieder die Quelle an. Ein angesehener Scientologe, der ein eigenes Geschäft hatte, luchste ihm 80 000 Franken in Form eines Darlehens ab.

In der Klemme war auch der Auditor, der Meier betreute. Dieser übernahm eine Bürgschaft in der Höhe von 180 000 Franken für seinen «Therapeuten». Meier dachte, das Geld sei sicher, und gewährte noch weitere kleine Darlehen.

Meier besuchte fleissig Kurse, doch die grosse Erleuchtung kam nicht über ihn. «Ich verspürte die grossartigen Gewinne nicht, die mir Scientology versprochen hatte», erzählt er. Doch nun sass er in der Falle. Er wollte nicht wahrhaben, dass alles für die Katz gewesen sein könnte. Deshalb kniete er sich noch intensiver rein und liess sich überreden, im Hauptquartier in den USA Kurse zu besuchen. Kostenpunkt: rund 250 000 Franken. An den Überredungskünsten beteiligt war auch eine junge, hübsche Amerikanerin. Für angebliche Wohltätigkeitsveranstaltungen und für prestigeträchtige Einträge in einer Spenderliste zahlte er weitere 100 000 Dollar.

Meier liess sich auch mehrere Hubbard-Elektro-Meter für mehrere Zehntausend Franken aufschwatzen. Dabei handelt es sich um simple Geräte zur Messung des Hautwiderstandes, die bei der umstrittenen Therapie eingesetzt werden und ähnlich wie ein Lügendetektor reagieren. «Im Lauf weniger Jahre gab ich für Scientology-Kurse und -Materialien 606 000 Franken aus, Darlehen nicht einberechnet», sagt Meier.

Der Mutter Geld abgeschwatzt

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Meier seine Finanzen noch halbwegs im Griff. Doch dann zeichnete sich ab, dass die beiden Hauptschuldner ihren Verpflichtungen nicht nachkommen konnten. Die Bank forderte die 180 000 Franken aus der Bürgschaft von Meier, weil sein Auditor in die Drogen abgerutscht war. Der scientologische Geschäftsmann ging in Konkurs und konnte den Kredit von 80 000 Franken nicht abzahlen.

Meier suchte Hilfe beim Scientology-Kader, auch bei Jürg Stettler, der heute noch Chef der Schweizer Scientologen ist. Doch Meier fand keine Gnade. Da er inzwischen blank war, sah er sich gezwungen, seiner Mutter 40 000 Franken abzuschwatzen und sein Erbe vorzubeziehen.

Nach ein paar Jahren löste sich Meier von der Sekte und versuchte, wenigstens die Spendengelder von der milliardenschweren Mutterorganisation in den USA zurückzubekommen. Doch selbst einer der ranghöchsten Scientologen liess ihn hängen. Sein Briefpapier enthielt den Aufdruck: «Ein Mensch ist nur so wertvoll, wie er andern dient.» Nicht einmal die rund 40 000 Franken, die noch auf einem Scientology-Konto lagen, wurden ihm zurückbezahlt. Vielmehr drehten sie ihm zwei von Sektengründer Hubbard signierte Videokassetten im angeblichen Wert von 40 000 Franken an. Damit war auch dieses Scientology-Konto geplündert.

Teure Geräte plötzlich wertlos

Schliesslich hätte Meier gern ein paar Gegenstände verkauft, um seine Schulden zu tilgen. So ein Gold-E-Meter, für das er 42 000 Franken bezahlt hatte, die beiden Kassetten (40 000 Franken) und andere Materialien (25 000 Franken), doch er fand keine Abnehmer für die überteuerten Utensilien. Schliesslich packte er alles in eine Schachtel und brachte sie ins Zürcher Zentrum. Geld bekam er dafür nicht.

Das letzte Kapitel der Geschichte von Meier wurde in diesen Tagen abgeschlossen. Mit einem Happy End – wenn auch einem kleinen. Scientology Zürich überwies ihm rund 3400 Franken. Das Geld war nicht als Schadenersatz gedacht, vielmehr lag es noch auf einem Scientology-Konto. Die Sekte rückte den Betrag nur unter der Bedingung heraus, dass Meier keine weiteren Geldforderungen stellt. Die 3400 Franken werden rasch aufgebraucht sein, doch Scientology wird Ronald Meier nie vergessen. Seine Armut erinnert ihn täglich an seine Schwäche, gelegentlich weich zu werden. Scientology war nicht bereit, die Fragen des TA zu beantworten.


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