Kürzlich setzte die freikirchlich orientierte Zeitschrift «idea Spektrum» folgenden Titel: «Hugo Stamm bekehrt sich zu Jesus Christus». Zuerst fragte ich mich: Was weiss das Blatt, was ich noch nicht weiss? Das Rätsel löste sich beim Lesen des Artikels. Der abtretende Chefredaktor Andrea Vonlanthen wurde bei seinem Abschied in einem Interview mit seiner eigenen Zeitschrift gefragt, welche Schlagzeile er gern einmal gesetzt hätte. Seine Antwort: «Die erste: ‹Hugo Stamm bekehrt sich zu Jesus›. Und die zweite:’‹idea Spektrum überschreitet Grenze von 20’000 Abonnenten›.»
Die Geschichte zeigt, was ich seit Jahren erfahre: Gläubige suchen gern den Kontakt zu mir und wollen mich bekehren. Ich werde beim Wellenreiten angesprochen, im Tram, beim Biken, nach dem Besuch von Gottesdiensten in Freikirchen usw. Ich stelle mich stets der Diskussion und mache immer wieder ähnliche Erfahrungen.
Die Gläubigen wollen mir stets mit Bibelzitaten beweisen, dass ihr Glaube auf einem wahren und unvergänglichen Fundament beruht. Die Bibel ist für sie die göttliche Wahrheit und das unwiderlegbare Argument an sich. Dabei können sie nicht nachvollziehen, dass ich einerseits die Bibelaussagen und zweitens die Entstehung der Bibel hinterfrage.
Diese Möglichkeit ist ausserhalb ihres Bewusstsein, weshalb sie sie gar nicht in Betracht ziehen können. Und flugs zitieren sie weiter aus dem Buch, das für sie das authentische Wort Gottes enthält. Deshalb dreht sich die Diskussion im Kreis: Eine wirkliche Auseinandersetzung ist nicht möglich, weil wir von unterschiedlichen Grundlagen ausgehen. Nur: Ich will sie nicht von ihrem Glauben abbringen, sie hingegen möchten mich bekehren, wie auch der Titel zeigt.
In seltenen Fällen realisieren Gläubige mit der Zeit, dass sie mich mit Bibelzitaten nicht überzeugen können. Dann greifen sie zu Jesus und Gott als Zeugen, um meine empathische Seite anzusprechen. Gott habe seinen Sohn geopfert, um uns zu sühnen und seine Liebe zu uns Menschen zu demonstrieren. Einen grösseren Liebesbeweis gebe es nicht.
Ich verstehe das Argument aus Sicht der Gläubigen. Es gibt kein stärkeres. Jemand, der aus Selbstlosigkeit seinen Sohn opfert, muss aus starker Liebe handeln.
Doch auch bei diesem Argument macht sich bei mir Skepsis breit. Gehen wir davon aus, dass Gott seinen Sohn aus Liebe geopfert hat, dann stellt sich die Frage: Was ist mit der Liebe von Gott zu seinem Sohn? Wie konnte er mitansehen, wie sein Sohn am Kreuz Qualen litt und starb? Warum hat er als allmächtiger Gott keine «humanere» Lösung für das Problem der abtrünnigen Menschen gefunden? Auch diese göttliche Liebe ist für mich nicht frei von Widersprüchen, weshalb auch solche Diskussionen in der Sackgasse enden.