Die Sektenlandschaft ist im Wandel. Der Zeitgeist geht auch an den radikalen religiösen Gruppen nicht spurlos vorbei. Individualisierungstendenzen und Verweltlichung färben auf das spirituelle und religiöse Milieu ab, die grossen Sekten verlieren an Attraktivität und krebsen.
Zum Beispiel Scientology. Die amerikanische Sekte hämmert ihren Mitgliedern seit Jahren ein, sie sei die am schnellsten wachsende Religionsgemeinschaft. Je öfter sie es wiederholt, umso weiter entfernt sie sich von der Wirklichkeit. Einst verkündete die Sekte, in der Schweiz 10'000 Mitglieder zu haben. Ein Propagandawert. Im Lauf der Jahre schrumpfte die kommunizierte Zahl auf etwa die Hälfte. Heute sind noch lediglich ein paar Hundert Mitglieder aktiv.
Was ist passiert? Die kritischen Medienberichte wirkten abschreckend, die Mission geriet ins Stocken. Was vielleicht noch wichtiger ist und für die meisten grossen Bewegungen gilt: Das religiös oder spirituell interessierte Publikum will sich nicht länger einer autoritären Grossgemeinschaft unterordnen, sondern sich die Seele nach dem Konsumprinzip individuell massieren lassen.
Die Summe der religiösen Bedürfnisse sinkt aber kaum. Leute, die spirituell interessiert sind oder das «Gottesgen» in sich tragen, suchen nach Alternativen. Diese finden sie zunehmend in esoterischen Zirkeln oder in den Kleingruppen vieler Geistheiler und Gurus. Ausserdem brauchen heute viele spirituelle Sucher keine starre Bewegung mehr als religiöse Heimat. Sie bedienen sich vielmehr am breiten esoterischen Angebot und hauchen ihr Om vor ihrem Altar im Schlafzimmer, auf dem Statuen oder Bilder mehrerer Avatare oder Götter stehen. So basteln sie sich ihre Privatreligion, die nach hedonistischer Art auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Ganz nach dem verbreiteten Lebensmotto: Wahr ist, was mir guttut.
Hinweis: Im «Club» des Schweizer Fernsehens vom 15. April diskutierten Hugo Stamm und andere Studiogäste zum Thema: Gottlos glücklich – Braucht es Religion?