
Das Ende naht, immer und immer wieder: Szene aus Roland Emmerichs Endzeitfilm «2012». (Fot0: Colombia)
Heute geht die Welt unter. Die Zeichen stehen auf Sturm. Esoteriker, die den heiligen Berg Pic de Bugarach in Südfrankreich belagern, wollen bereits Ufos gesichtet haben. Der markante Felsen, 1300 Meter hoch, weist eigenartige Schründe auf. Hangars für die unbekannten Flugobjekte, erklären Ufo-Experten. Damit sollen die Aliens Auserwählte abholen, damit sie die erwarteten Naturkatastrophen überleben und ein neues Zeitalter in spiritueller Eintracht begründen können.
Die Erde ist dem Untergang geweiht oder erlebt eine Wendezeit, weil der wichtigste Maya-Kalender ausläuft, erklären Apokalyptiker. Gleichzeitig bedroht uns ein unbekannter Planet. Was uns da erwartet, können wir in der Johannes-Offenbarung nachlesen: Das Tor zur Hölle öffnet sich.
Die persönliche Endzeit
Die endzeitgläubigen Apokalyptiker, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker liegen mit ihren Prognosen nicht grundsätzlich falsch. Endzeit ist immer. Jeden Tag. Newtown erlebte sie beim Massaker in ihrer Schule. Anders Breivik setzte mit seinem Blutbad ein apokalyptisches Zeichen. Der Tsunami von Japan lieferte Bilder des Grauens. Die «Tagesschau» demonstriert uns fast täglich, dass irgendwo Endzeit ist. In Spitälern spielen sich dauernd Schicksale ab, hinter jeder Todesanzeige steckt eine persönliche Endzeit.
Nichts im Leben ist so sicher wie das Ende der Zeit. Die individuelle Apokalypse beginnt mit der Geburt. Das Bewusstsein von der Endlichkeit ist allgegenwärtig, begleitet uns wie ein Schatten. Das Ende kann mit dem nächsten Schritt oder Herzschlag eintreten.
Dramatische Bilder lösen Ängste aus und faszinieren uns gleichzeitig. Es gibt nichts Schaurig-Schöneres als Gemälde von der Endzeit, an der sich berühmte Maler in allen Epochen abmühten. Lebend in den Abgrund zu schauen, löst ein wohliges Gruseln aus. Wir fühlen uns selten so lebendig, wie wenn wir mit dem Grauen konfrontiert sind. Vor allem, wenn wir selbst verschont bleiben. Was uns abstösst, zieht uns magisch an. Ausserdem hat der Glaube an eine globale Apokalypse etwas Tröstliches: Wir teilen das Schicksal der ganzen Menschheit.
Auch die Medien mischen kräftig mit, wenn es darum geht, den Mythos vom auslaufenden Maya-Kalender ins kollektive Bewusstsein zu stanzen. Der Endzeit-Blockbuster «2012» von Roland Emmerich hat in den USA Massenhysterien ausgelöst. Das mediale Gewitter entfaltet eine magische Wirkung, die normative Kraft der Begriffe «Weltuntergang» und «Apokalypse» ist beträchtlich. Die Massensuggestion entfaltet enorme Energie. Deshalb machen auch nach unzähligen Endzeit-Pleiten immer wieder neue Szenarien die Runde.
Wildes Konstrukt von Absurditäten
Die Propheten liegen also nicht falsch, wenn sie vielfältige Zeichen der Endzeit erkennen. Bemühen sie aber die Maya und astronomische Phänomene, um ihre Prognosen zu untermauern, machen sie eine schlechte Figur. Nennen sie gar konkrete Daten für die Endzeitstürme, werden sie zu apokalyptischen Brandstiftern. Dann brennt ihr prophetisches Temperament mit ihnen durch, und die Sehnsucht nach der Endzeit bestimmt ihren Fahrplan.
Würden sie sich bei ihren Prognosen und Spekulationen um Fakten kümmern, müssten sie ihre Endzeitbühne sofort abbrechen. Stattdessen ergötzen sie sich im Welttheater an der Angst sensibler und psychisch belasteter Menschen, geniessen ihre Rolle als vermeintlich hellsichtige Propheten und machen gute Geschäfte mit dem Mythos des Maya-Kalenders. Sie verkaufen Bücher über den Weltuntergang, Plätze in Archen und Atombunkern, Überlebenskits, Reisen zu Kraftorten usw. Selbst die Migros ist auf das Endzeitzüglein aufgesprungen und propagiert – wenn auch ironisch – in ganzseitigen Inseraten ihre Schokolade: «Am 21. Dezember ist Weltuntergang. Greifen Sie zu, der Sommer kommt ja nicht mehr.»
Bei näherem Hinsehen entpuppen sich alle Prophezeiungen rund um den Maya-Kalender und die angeblich bedrohlichen astronomischen Ereignisse aber als wildes Konstrukt von Absurditäten. So läuft der Maya-Kalender «Lange Zählung» nicht heute aus. Vielmehr geht die 13. Periode zu Ende und die 14. beginnt. Es ist wie bei unserem Kalender: Am Tag nach dem 31. Dezember 1999 begann das 21. Jahrhundert. Die Maya haben auch nie von einem Weltende gesprochen.
Auch bei den astronomischen Phänomenen, die sich in diesen Tagen ereignen sollen, haben sich die Esoteriker und Apokalyptiker tüchtig verhauen. So berichten sie seit Jahren von einem geheimnisumwitterten unbekannten Planeten, Nibiru genannt, der in diesen Stunden grosses Unheil anrichten soll. Auch in diesem Punkt sind die Apokalyptiker inzwischen als Fantasten entlarvt, denn der unbekannte Planet müsste von blossem Auge erkennbar sein. Ausserdem besteht kein Zusammenhang zwischen dem Maya-Kalender und den aktuellen astronomischen Phänomenen.
Ein Rechnungsfehler
Vielleicht haben sich Apokalyptiker und sensible Leute ohnehin vergeblich geängstigt. Wissenschaftler vermuten, dass beim Abgleichen des Maya-Kalenders mit unserer Zeitrechnung ein Fehler passiert ist und die «Lange Zählung» erst in 200 Jahren ausläuft. Doch auch diese fundamentale Endzeitpleite wird die Apokalyptiker nicht daran hindern, Ausschau nach dem nächsten Ereignis zu halten, das das Potenzial hat, als erfolgreiche Endzeitmatrix zu dienen. Offenbar brauchen wir Menschen das apokalyptische Gruseln.
Die Massensuggestion hat enorme Energie. Darum kursieren immer wieder neue Endzeit-Szenarien.