«Er erinnert mich an Rasputin», sagt ein Informant, der den Berner Musiklehrer und Heiler kennt. Der gebürtige Italiener mit dem leichten Akzent ist untersetzt, hat lange schwarze Haare und einen stechenden Blick. Nochmals der Informant: «Ihm haftet etwas Unheimliches an, auch etwas Schmuddliges, doch auf manche Frauen wirkt er charismatisch.»
Der sogenannte Heiler wäre gern als Musiker berühmt geworden, doch nun gerät er als Angeklagter in einem der spannendsten Kriminalfälle der letzten Jahre in die Schlagzeilen. Der 53-jährige Multiinstrumentalist, der nach eigenen Aussagen am Montreux Jazz Festival aufgetreten ist, behandelte seine Musikschüler und Patienten mit alternativen und esoterischen Methoden. Dabei soll er zwischen 2001 und 2005 insgesamt 16 von ihnen mit Spritzen und Akupunkturnadeln bewusst mit Aids- und 13 zusätzlich mit Hepatitis-C-Viren angesteckt haben. So jedenfalls steht es in der Anklage.
«Liebe und Motivation»
Das sei eine üble Verschwörung gegen ihn, sagt der Beschuldigte. «Ich benütze nie die Peitsche beim Unterricht, sondern Liebe und Motivation», verkündet er in einer Videobotschaft. Am Mittwoch reiste er mit dem Taxi zum ersten Prozesstag an. Auffällige Ringe zierten drei seiner Finger, ein kurzer Bart sein Gesicht. Auf Wunsch seiner schwer kranken Ex-Patienten muss er den Prozess von einem Nebenzimmer aus verfolgen; am Montag wird er voraussichtlich erstmals befragt.
Keine Frage: Der Heiler, der 1972 in die Schweiz kam und 1999 eingebürgert wurde, hat zwei Gesichter. Er kann sich charmant und einnehmend geben. Diese Rolle spielte er so überzeugend, dass sich beispielsweise eine attraktive Musikschülerin in ihn verliebte. Als er sie in seinen Bann gezogen hatte, lernte sie sein vermutlich wahres Gesicht kennen. In seiner krankhaften Eifersucht soll er sie abhängig gemacht, isoliert und mental gefangen haben. Bei einem Streit verletzte er sie mit einem schweren Kerzenständer, was eine Spitaleinweisung nötig machte. Ein Indiz für seine Neigung zur Gewalt ist auch der Umstand, dass der Heiler auf Anordnung des Gerichts nicht mehr den Kanton betreten darf, in dem seine Ex-Partnerin wohnt, weil er sie mit dem Tod bedroht haben soll.
Psychopathische Züge
Das psychiatrische Gutachten belastet den Heiler ebenfalls. Er leide unter einer Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen, schreibt der Experte, die nur schwer therapierbar sei. Ausserdem lasse er jegliches Mitgefühl vermissen und sei weitgehend immun gegen Schuldgefühle. Der Heiler ficht das Gutachten vor Gericht an und verlangt ein zweites. Doch erklärt das Gutachten die schwer nachvollziehbaren Taten? Nur bedingt. Geistheiler, die sich beinahe unbegrenzte spirituelle und heilerische Fähigkeiten zuschreiben, rutschen oft in eine Scheinwelt ab und verlieren jeden Realitätsbezug. Leiden sie zusätzlich unter psychotischen Störungen, ist die Grenze zum Wahn schmal und die Selbstkontrolle ausser Kraft. Das würde erklären, weshalb der Heiler irrational handelte, die Taten aber nach einem Muster ausübte.
Erdrückende Indizienkette
Obwohl es keine klaren Beweise gibt, ist die Indizienkette erdrückend. Die Zeugen sind glaubwürdig, eine Anlayse hat ergeben, dass die Infizierten Viren von ähnlichen und seltenen Stämmen in sich tragen (siehe Haupttext). Ähnlich ist das Bild bei den Hepatitis-Viren. Ihre Krankheiten werden die Kläger aber auch bei einer Verurteilung des Heilers nicht los.